Naturmed Nlog - Therapeuten Fachbuchblog

Nach dem Huang Di Neijing und dem Nan-ching ist nun der dritte Klassiker das Ling Shu von Paul Unschuld auf dem Markt.

Ling Shu
Ling Shu

Das Ling Shu von Paul Unschuld nun in deutscher Sprache. Dieses Werk auch bekannt als Ling Shu Jing gehört als dritter der Grundlagentexte zu den antiken Klassikern der Chinesischen Medizin. Zusammen mit den beiden anderen Texten Su Wen und NanJing bildet der ursprünglich als Zhen Jing übermittelte Klassiker des Nadelns die Grundlage einer 2000jährigen heilkundlichen Medizin.

In der Deutschen Zeitschrift für Akupunktur (DZA) wurde die Übersetzung von Paul Unschuld bewertet.

Hier geht es zur Rezension:

U. Unschuld, der Historiker der Chinesischen Medizin, hat nun nach seiner englischen Übersetzung auch eine deutsche Fassung des Ling Shu herausgebracht. Beim Ling Shu handelt es sich um den Akupunkturteil (weiterer Name Zhen Jing = Klassiker der Akupunktur) des Inneren Klassikers des Gelben Kaisers (von Un­schuld Thearch genannt). Das gewaltige Ausmaß des Buches erklärt sich daraus, dass Unschuld der eigentlichen Übersetzung und eigenen Kommentaren einige Tausend Fußnoten aus 38 Kommentar-Texten der letzten 2.000 Jahre zum Ling Shu hin­zugefügt hat. Das hat seinen guten Grund: Viele Aussagen sind nicht eindeutig, viele widersprüchlich, manchmal haben die Kopisten chinesische Schriftzeichen inkorrekt abgeschrieben oder meinten, selbige korrigieren zu müssen, und manchmal wurde der vorliegende Text aus dem jeweiligen Zeitverständnis heraus uminterpretiert. Diese Kommentare sind gerade aus dem letztgenannten Grund heraus enorm wichtig, geben sie doch einen gewissen Überblick über die Veränderungen und Weiter­entwicklungen der klassischen chinesischen Medizin der letzten zwei Jahrtausende: U. a. beginnen die Leitbahnen an den Akren und fließen zentripetal zu ihren entsprechenden Organgebieten des Corpus, was ja der Systematik der Transportpunkte („antike Punkte“) entspricht. So ist es weiterhin spannend zu sehen, wie viele der uns heute bekannten Regeln der Akupunktur schon vor zweitausend Jahren existierten, andererseits wundert man sich manchmal gewaltig, was da geschrieben wurde und so gar nicht zur Systematik der Entsprechungsmedizin passt. Das Geheimnis mag darin liegen, dass dieses Buch nicht aus einem Guss geschrieben wurde und nicht von einem Autor stammt, sondern sicherlich eine Kompilation mehrerer Autoren über einen mehr oder weniger längeren Zeitraum darstellt. Gerade die letzten paar Hundert Seiten bringen teilweise Erklärungen zu bereits Gesagtem, sie bringen aber auch viele Abweichungen. Möglicherweise enthält dieser „Originaltext“ schon Kommentare von zeitgenössischen Ärzten bzw. Medizintheoretikern. Prinzipiell erschüttert dürfte die Leserschaft über die ungeheure Vielfalt und auch Präzision der damals gemachten Aussagen sein. Dieser Klassiker stellte nicht den Beginn einer neuen medizinischen Sichtweise dar, sondern muss schon länger Prak­tiziertes oder zumindest Theoretisiertes zusammengefasst haben. Das wird schon in den ersten Zeilen klar. Da sagt der Gelbe Thearch: „Ich möchte nicht, dass [die Menschen innerlich] gif­tigen Arzneien ausgesetzt und [äußerlich] durch die Spitzsteine verletzt werden. Ich wünsche, dass sie mit feinen Nadeln ihre Leitbahnen und Gefäße durchgängig machen …“ Dieses Buch repräsentiert gemeinsam mit dem Huang Di Nei Jing Su Wen und dem Nan Jing (beide ebenfalls von Unschuld auf Deutsch vorgelegt) die Hinwendung der klassischen chinesischen Heilkunde weg von einflussreichen Geistern und Göttern hin zu einem sekulären Verständnis von Gesundheit und Krank­heit: auch die Sektion als Methode zur Erringung von Wissen wird beschrieben.

Auffällig die metaphorische Sicht von Krankheiten als Eindring­linge, als Feinde (manchmal als Gäste benannt), die sich in den verschiedenen Netzwerken der Leitbahnen in verschiedenen Körpertiefen oder z. B. in den Räumen zwischen den Muskeln verstecken, dort Blockaden verursachen und eben dort mit der Nadel aufgespürt werden müssen. Wehe dem, der eine oberfläch­liche Störung zu tief nadelt und damit noch nicht weit Ein­gedrungene ins Körperinnere befördert. Also ist die Frage, was denn ein niederer, herausragender oder kompetenter Praktiker ist, ein oft wiederkehrendes Thema. Wenn man die vielfältigen Anweisungen zur Art und Weise des Stechens unter verschie­denen Bedingungen liest und mit unserer heutigen Praxis ver­gleicht, dann muss einem die heutige Praxis entweder verarmt oder auf rationale Füße gestellt vorkommen. Quod erat demonstrandum.

Erstaunlich auch der Mut zur Prognostik: Die vor 2.000 Jahren mit Akupunktur behandelten Krankheiten haben mit dem heute vorherrschenden Kreis der funktionellen Störungen wenig gemein. Damals wurden viele Krankheiten behandelt, die mit Eiter und Geschwüren einhergingen. Die Bedingungen von Heilung wurden genau beschrieben, und nicht selten wurde der Tod prognostiziert (was natürlich auch der Absicherung der behandelnden Ärzte dien­lich war – welch ein Glück bzw. welch ein Beweis großer ärztli­cher Kunstfertigkeit, wenn der Patient dann doch überlebte). Weiterhin erstaunlich, dass die meisten Erkrankungen nur im Rahmen der Entsprechungssystematik (entweder der Langzeit­bzw. Kurzzeitspeicher [= Unschulds heutige Übersetzung der Speicher- und Palastorgane], Qi, Blut, Essenz …) oder eben der Leitbahn-Netzwerke beschrieben wurden. Nur in wenigen Kapiteln werden explizit Krankheits-Entitäten namentlich ge­nannt (Harnverhalt, Wechselfieber, Aphasie, Nasenbluten, Lum­bago, Nackenschmerzen, Blähungen …). Ansonsten sind aus der Beschreibung der Symptome Krankheiten wie Asthma, TBC, Facialisparese, Herzversagen, Lumboischialgie, Depression, Ma­nie etc. zu erkennen. Gerade einige wenige Kapitel zu psychia­trischen bzw. psychosomatischen Krankheitsbildern sind aufregend detailliert und teils mit emotionalen Konnotationen beschrieben, die der heutigen westlichen Medizin besser ent­sprechen als der heute gelehrten „TCM-Theorie“ – z.B. Herz-Unruhe ausgelöst durch Ängste, Sorgen und Betrübnis, nicht nur durch die in modernen Texten immer wieder zitierte Freude. Ein Beispiel: Für eine bestimmte Krankheit wurden folgende Symptome angegeben: Zittern vor Kälte, Stöhnen, häufiges Gähnen, Aversion gegen andere Menschen und Feuer, man bleibt allein zu Hause, schließt die Türen und Fenster – in ernsten Fäl­len möchte man auf einen Berg steigen und singen, man wirft die Kleider ab und rennt davon: Ohne Zweifel die Beschreibung einer Depression gefolgt von einer manischen Phase.

Fazit:

Ein Buch, wissenschaftlich und spannend zugleich, optisch gut aufgemacht, unerlässlich für alle Praktikerinnen der Chi­nesischen Medizin, und wegen der weitläufigen Beschreibun­gen von Krankheiten nicht nur der der Akupunktur, sondern für Kräuter-Doctores gleichermaßen.

Hier geht es zum Ling Shu von Paul Unschuld:

>>>Ling Shu – Antike Klassiker der Chinesischen Medizin