Naturmed Nlog - Therapeuten Fachbuchblog

Lesen Sie hier einen Beitrag von HP Rick Putzer.

Yin-Feuer ist ein kontroverses Behandlungskonzept aus der Yuan-Dynastie von Li Dong-Yuan (1180 – 1251 n. Chr). Immer wieder gibt es diesbezüglich in der Fachwelt Diskussionen um das Yin-Feuer. Sei es durch Bob Flaws, welcher das Konzept erst bekannt machte, oder durch Maciocia in seinen umfassenden Büchern. Beiden Koryphäen, so verdient sie sich auch um die chinesische Medizin gemacht haben, ist gemeinsam, dass sie versuchen, das Yin-Feuer aus der heutigen TCM zu beschreiben und es mit Autoimmunerkrankungen in Verbindung bringen. Dieser Versuch muss allerdings fehlgehen, da auch medizinische Inhalte kontextualisiert werden müssen. Den Rahmen bilden dabei die geschichtlichen Ereignisse. Daher ist das Krankheitskonzept des Yin-Feuers und eine entsprechende Behandlung mittels Akupunktur und Arzneimitteln einfacher unter diesen Gesichtspunkten zu verstehen.

Li Dong-Yuan erlebte zur Zeit der Yuan-Dynastie, wie die damalige Kaiserstadt Kaifeng (auch Daliang genannt) von einer Epidemie heimgesucht wurde. Diesbezüglich schreibt er in seinem Buch Klarstellung von Zweifeln über Schädigungen innerer und äußerer Herkunft (Neiwaishang bianhuo lun, 1247,):

Nach der Belagerung litten fast alle Menschen der Stadt an einer Erkrankung, nur einer oder zwei von zehntausend war nicht krank, die Toten waren zahllos. Die Stadt hatte zwölf Tore und durch jedes wurden täglich mehr als zweitausend und nicht weniger als eintausend Tote hinausgebracht, so ging es drei Monate. Sind diese eine Million Menschen wirklich an einem Wind-Kälte-Angriff zugrunde gegangen? (…)

In Daliang war jeder auch in der Familie betroffen, es wurde Semen Crotonis (Ba Dou) und das Dekokt, welches das Qi ordnet (Cheng Qi Tang) verwendet, um nach unten zu leiten und die Knoten im Epigastrium zu beseitigen. Als Folge wurden die Betroffenen gelb, sodass das Dekokt, das in den Thorax einsinkt (Xian Xiong Tang) angewendet wurde, und mit dem Artemisiae-Yin-chenhao-Dekokt (Yin Chen Tang) wurde ebenfalls behandelt, alle sind nun tot. Es war von Anfang an kein Wind-Kälte-Angriff, in der medizinischen Behandlung wurde ein großer Fehler gemacht, das Syndrom wurde mit einem Wind-Kälte-Angriff verwechselt, daher war jede Medizin ein Todesurteil.

Dieses Erlebnis hat Li nachvollziehbarer Weise ganz wesentlich in seinen Behandlungen und Theorien geprägt und bildete die Grundlagen für sein Buch Abhandlung über Milz und Magen (Pi Wei Lun). In seiner Beschreibung zeigen sich zwei Dinge deutlich. Zum einem ist die Verknüpfung von Yin-Feuer mit Autoimmunerkrankungen (AI) aus dem historischen Kontext nicht nachvollziehbar. AI sind sehr selten und entsprechen nicht dem drastischen Bild, welches Li zeichnet. Es spricht eher alles für eine Infektionserkrankung.

Ein zweiter Punkt, welcher sich über die verwendeten Arzneimittel und Rezepturen zeigt, ist, um was für eine Erkrankung es sich dabei gehandelt haben könnte. Alle erwähnten Dekokte enthalten Radix et rhizoma Rhei (Da Huang), ein sehr kaltes, abführendes Arzneimittel. Das erwähnte Semen Crotonis (Ba Dou), hingegen ist ein heißes, abführendes Arzneimittel. Insofern scheint Verstopfung ein wesentliches Symptom der Erkrankung gewesen zu sein.

Weitere Symptome, welche Li in seiner Abhandlung über Milz und Magen dem Yin-Feuer zuordnet, sind außerdem: Dyspnoe, quälendes Fieber, ein voller, wogender Puls, Kopfschmerzen, unstillbarer Durst, abwechselnd Hitze und Kälte und Obstipation. Außerdem Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und Gliederschmerzen. Mit diesen Symptomen im Hinterkopf lässt sich vermuten, dass es sich bei der Erkrankung, welche die vielen toten verursachte, um die Infektionserkrankung Typhus gehandelt hat. Dafür spricht insbesondere, dass Verstopfung als Symptom auftrat, und dieses charakteristisch für den Beginn dieser Erkrankung ist. Außerdem zeigt sich Typhus durch ein sehr charakteristisches, zunächst treppenförmiges Fieber mit einem langen Fieberplateau. Weitere Symptome sind außerdem Gliederschmerzen, grippale Symptome sowie starke Verwirrung.

Gleichzeitig trat diese Erkrankung meistens in dicht besiedelten Städten auf und ist im Vollbild ohne Antibiotika sehr gefährlich. Das ursächliche Bakterium Salmonella enterica Typhi infiziert dabei nach oraler Aufnahme das lymphatische Gewebe, die Peyer-Plaques im Dünndarm. Von hier aus verteilt es sich anschließend ganzen Körper und führt so zu einer Sepsis. Es ist daher nachvollziehbar, warum der Historiker Boying Ma schreibt:

Aus den oben genannten Beschreibungen lässt sich ableiten, dass es sich bei der von Li Dongyuan erlebten und beschriebenen Seuche um einen schweren Ausbruch von Typhus gehandelt hat.

Dafür spricht beispielsweise auch, dass Li sein berühmtes Dekokt, das die Mitte tonisiert und das Qi vermehrt (Bu zhong Yi Qi Tang) in einem seiner Bücher um das Arzneimittel Cortex Phellodendri (Huang Bo/Bai) erweitert. Dieses lindert Feuchte-Hitze im unteren Erwärmer, einen Mechanismus, welcher typisch für Entzündungen ist, wie sie beispielsweise durch das genannte Bakterium ausgelöst werden. Außerdem konnte in Studien gezeigt werden, dass die Rezeptur die Widerstandskraft der Peyer-Plaques stärkt und die peristaltische Welle fördert. Anders ausgedrückt, der Körper wird unterstützt, gegen das Bakterium vorzugehen.

Aus allen Punkten ergibt sich daher, dass das Konzept des Yin-Feuers ein Konzept für die Infektionserkrankung Typhus war. Die damit einhergehenden Implikationen sowohl für den Pathomechanismus, die Behandlungsansätze von Li mit der Akupunktur und Arzneimitteln, würden hier den Rahmen sprengen, sie sind Teil eines Buchprojektes des Autors.